"Ist doch der Inhalt die Botschaft?"
Trotzdem erlebt das Storytelling erst jetzt wieder eine starke Konjunktur, es scheint in aller Munde zu sein; vor allem auf die Marketingbranche trifft das zu. Man bewegt sich weg von der Annahme “das Medium [sei] die Botschaft” (Marshall McLuhan) hin zu einem inhaltlichen Schwerpunkt. Anstatt einer reinen Aufforderung zum Kauf entwickelt sich das Marketing in eine Richtung, die Produkten, Dienstleistungen oder Unternehmen ein Gesicht verleiht.
In Geschichten verpacken wir wer wir sind, wir erzählen unsere Ängste, Sorgen und Träume. Geschichten sind härter als Beton, sie lassen uns leben und bringen uns um; das ist ihre Wahrheit. Und wir erzählen unsere eigene Geschichte, kulturelle Meilensteine und menschliche Entwicklungen, wir erzählen von Kriegen und Aufständen, von Festen und Feierlichkeiten.
Es ist der Grundstein der Menschheit – wir lernen aus Geschichten; den eigenen und denen, von anderen. Daher erklärt sich auch die Redensart: “aus seinen Fehlern lernt man.”; das Gehirn merkt sich, was man falsch gemacht hat und erinnert uns beim nächsten Mal daran.
Wie man sieht, verstecken sich Geschichten überall, jeden Tag.
Das ist es auch, worum es in diesem Artikel geht. Um Storytelling. Storytelling meint nichts anderes als das altbekannte Geschichten erzählen. Darum möchte ich euch erzählen, warum und wie Storytelling funktioniert und wie es genutzt wird, vor allem im Business Kontext.
Das altbekannte Geschichtenerzählen
Hierfür möchte ich das Buch “Tell to Win” von Peter Guber nutzen, dass zeigt, wie man mit zielgerichteten Geschichten erfolgreich sein und sich in der Arbeitswelt zurecht finden kann. Wichtig ist, dass es keine Geschichte ohne Struktur geben kann. Eine Geschichte braucht immer eine Struktur – dabei gibt es aber keinen Plan, den ich immer und auf alles anwenden kann. Der Kontext, in dem meine Geschichte zur Geltung kommt, ist immer anders und davon ist die Geschichte abhängig. Ich muss mich also fragen: was sind meine Ziele, was möchte ich damit erreichen? Wer ist mein Held und wer ist mein Publikum? Was steckt für anderen drin?
Der Held
Fangen wir aber von vorne an: der Held. Jede Geschichte hat eine Hauptperson, jemand mit dem wir uns identifizieren können, jemand, mit dem etwas passiert. Dieser Held kann in einer Geschichte ein Mensch sein, ein Ort, ein Produkt oder auch der Zuhörer selbst; wählt den Helden eurem Ziel entsprechend. Helden sind überall versteckt und warten darauf, entdeckt zu werden. Nutzt diesen Vorteil, aber achtet darauf, dass ihr den Helden nicht höherwertig darstellt – ein Held ist jemand wie du oder ich.
Aufgrund der vielen Geschichten, die wir in unserem Leben schon gehört haben, hat unser Gehirn bestimmte Muster abgespeichert, von denen wir erwarten, dass sie in anderen Geschichten wieder auftauchen. Darum ist es von großer Bedeutung, dass ihr die Balance zwischen Erwartung und Unsicherheit haltet, um Spannung zu vermitteln.
Authentisch bleiben
Seid euch aber vor allem der Tatsache bewusst, dass eure Geschichte niemals perfekt sein sollte. Geschichten über Perfektion werden scheitern, weil sie nicht wahrhaftig sind – ein weiterer zentraler Aspekt beim Storytelling. Dabei sind natürlich die Geschichten, die wir am eigenen Leib erlebt haben am wirkungsvollsten – hier müssen wir uns nicht darauf konzentrieren, an den richtigen Stellen Emotionen zu wecken, weil sie auf natürliche Weise entstehen. Zeigt, dass ihr hinter eurer Geschichte steht, erst dann vermittelt sie Authentizität.
Dazu gehört auch, dass man Verwundbarkeit zeigt. Hier knüpfen Menschen an, erinnern sich an selbst erlebte Situationen und hier entstehen Verbindungen!
Bei jeder Erzählung gibt es Zuhörer; was ihr euch fragen solltet, wer euer Publikum ist, wen ihr ansprechen wollt? Dazu ist es grundlegend sich bewusst zu sein, was die Ziele sind. Was wollt ihr erreichen und was steckt für andere (euer Publikum) drin? Was interessiert euer Publikum? Hat es vielleicht eine Hintergrundgeschichte, die euch schaden oder helfen kann? Was für Vorbehalte hat es?
Es ist von unverkennbarem Wert zu wissen, wem man gegenübersteht! Erst dann befindet ihr euch in der Lage zu entscheiden, wie ihr vorgeht und was für ein Kontext ihr schaffen wollt. Seid euch im Klaren, dass der Kontext eure Geschichte und euer Publikum beeinflusst.
Kommunizieren - aber richtig
Sicher kennt ihr das Gefühl in einem Vortrag zu sitzen und danach das Gefühl zu haben, nichts von dem mitbekommen zu haben, was der Vortragende berichtet hat, oder?
Damit euch nicht der gleiche Fehler unterläuft, versucht euer Publikum einzubinden und mit ihm zu interagieren. Lasst es teilhaben an eurer Geschichte; dazu gehört auch, mal vom Skript abzuweichen, wenn es nicht mehr passt.
Es wurde von Wissenschaftlern nachgewiesen, dass der größte Teil der menschlichen Kommunikation non-verbal stattfindet. Das bedeutet also, ihr kommuniziert schon mit eurem Publikum, bevor ihr tatsächlich anfangt zu reden. Außerdem wirkt eine Geschichte lebendiger, wenn ihr mehrere Sinne ansprecht, anstatt sich hinter einem Rednerpult zu verstecken und stur einen Text runter zu lesen.
So. Jetzt habt ihr also eure abenteuerliche Geschichte mit dem wagemutigem Helden, der das Böse besiegt und Frieden bringt zu Ende erzählt. Was nun?
In dem Moment, in dem ihr zu Ende geredet habt, ist diese Geschichte nicht mehr “eure” Geschichte; es ist “unsere” Geschichte. Sie gehört auch dem Publikum, jedem eurer Zuhörer. Wenn sie gut war, wird sie weitererzählt werden und im Laufe der sich immer und immer wieder wiederholenden Erzählungen vielleicht verändern. Umso mehr ihr eure Zuschauer aber Teil der Geschichte sein lasst, desto mehr werden sie sich als “Miteigentümer” der Geschichte engagieren und so dafür sorgen, dass so wenige Informationen wie möglich verloren gehen.
Darum brauchen wir Geschichten
Was ihr jetzt gelesen habt, hört sich wohl doch sehr nach einer festen Vorgehensweise an, aber soll nicht der Fall sein. Was hier aufgelistet ist, sind Aspekte oder Anhaltspunkte an denen ihr euch orientieren könnt. Es sind Faktoren, die das Erzählen einer Geschichte beeinflussen können.
Damit ihr leichter nachvollziehen könnt, warum das so ist, möchte ich euch mit dem Ursprungsort des Geschichten-Erzählens bekannt machen: das menschliche Gehirn.
Bei Mensch handelt es sich um ein Sinn und Ordnung suchendes Wesen; der britische Verhaltensforscher Nick Chater bezeichnet das Hirn als “Ordnungs-Finde-Maschine”. Es ist es laut ihm auch eine unabstellbare Eigenschaft, Ordnung überall dort zu suchen, wo Chaos ist. Damit ist nicht die Unordnung auf eurem Schreibtisch gemeint, sondern der Sinn oder die Logik hinter Gedanken und Erzählungen. So können wir die Welt oder deren Existenz nur verstehen, wenn wir sie als Teil eines großen Ganzen sehen, als Teil einer Geschichte.
Ein weiteres Beispiel, dass ihr sicher auch selbst gut kennt, sind Eselsbrücken. Sie funktionieren so gut, weil, laut Psychologe Dan McAdams und Hirnforscher Dr. Werner Fuchs, das menschliche Gehirn gelernt hat, in Form von Geschichten komplexe Informationen wahrzunehmen und zu speichern.
Kulturanthropologe Michael Wesch erklärt, dass der Mensch diesen Sinn und Logik braucht, “weil Menschen Wesen sind, die nach dem Sinn suchen. Es geht nicht nur darum, Informationen aufzunehmen. Wir können uns Dinge nur merken, wenn wir ihnen einen Sinn geben.” Erst die Kombination von Erinnerung und Sinn schafft Wissensfähigkeit.
Was bei all dem enorm wichtig ist, vor allem, wenn es im Folgenden auf das Marketing zugeht, ist das der Wahrheitsgehalt einer Geschichte irrelevant ist. Das Gehirn unterscheidet nicht zwischen wahr oder unwahr; wenn die Geschichte logisch, also in sich stimmig ist, glaubt das Gehirn daran.
Was bedeutet Storytelling nun für das Marketing?
Wenn es Storytelling schon seit so langer Zeit gibt, wieso erlebt es dann jetzt einen solchen Aufschwung?
Zum einen bietet das neue Internet (Soziale Medien, Internet am Smartphone,…) eine ganz andere virale Reichweite und Möglichkeiten als beispielsweise die klassische Plakatwerbung. Hinzu kommt die durch die Wissenschaft bestätigte Macht, die Geschichten auf das menschliche Gehirn haben, wie ihr ja eben gelesen habt. Und letztendlich ist man in der Kommunikationsbranche interessiert an neuen Ertragsquellen, vor allem bedingt durch den Strukturwandel.
Warum man Geschichten in Werbung einbauen möchte, kann man zum Beispiel damit erklären, dass man davon ausgeht so leichter Kunden zu aktivieren, weil diese nicht mehr nur ein Produkt konsumieren, sondern die Geschichte dahinter kaufen. Außerdem positionieren sich Unternehmen dadurch und Kopien (Substitutionsprodukte) werden erschwert, denn mit einer persönlichen Geschichte sondern sie von der Masse ab. Es geht nicht mehr um das reine Produkt, sondern um einen bestimmten Lifestyle, eine Gemeinschaft oder einen bestimmten Service.
Aktives Storytelling im Marketing findet man zum Beispiel im dauerhaften Dialog mit Kunden, den Marketer versuchen konstant aufrecht zu erhalten. Diese Kommunikation kann aber auch von Konsumentenseite kommen – so entsteht Storytelling beispielsweise auch durch Erfahrungsberichte oder Bewertungen durch Kunden; und das ist die wohl glaubwürdigste Art von Story, die ihr für euer Unternehmen haben könnt.
Durch Storytelling vermittelt man also nicht einfach nur einen Nutzen durch ein Produkt oder eine Dienstleistung – man vermittelt ein Gefühl.
Stellt euch vor wie eine Welt ohne Geschichten wäre: wir wären nicht mehr als eine Hülle für Neuronen und biologische Abläufe.
Aber mit Storytelling kann man Leben entwickeln und es dort wachsen lassen, wo vorher Steppe war.
(Artikel: Lea Johner)